Geschichte des Notariats in Thüringen

Das Notariat in Thüringen

Der folgende Beitrag basiert im Wesentlichen auf dem Aufsatz "Das Notariat in Thüringen im Wandel der Zeiten" des ersten Präsidenten der Notarkammer Thüringen, Herrn Notar JR Hans-Georg Schmidt1, aus der Festschrift zur Wiedererrichtung des Oberlandesgerichts Jena aus dem Jahre 1994.

Die Entwicklung des Notariats in Thüringen ist zugleich die Geschichte der alten deutschen Gebiete. Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen-Eisenach, Sachsen-Altenburg, Sachsen- Gotha, Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt und die beiden Reuß, die als Folge des gothaischen Erbteilungsvertrages die thüringischen Gebiete ausmachten, hatten jeweils ihren eigenen Weg im Notariat genommen.

Im Gebiet des Großherzogtums Sachsen-Weimar hatte das Notariat bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Grundlage der Reichsnotariatsordnung von 1512 bestanden. Durch Erlass vom 21.08.1818 wurde jedoch die Ernennung neuer Notare für entbehrlich erklärt. In der Zeitschrift des Deutschen Notarvereins finden wir 1903 folgende Mitteilung: "Aus Thüringen: Sachsen-Weimar gehört zu den wenigen deutschen Gebieten, die kein Notariat, sondern nur ein gerichtliches Urkundsamt besitzen ..."2. Das Beurkundungsmonopol lag also bei den Amtsgerichten, wobei daneben noch bestellte Notare zugelassen wurden, Art. 1, 2 AGGFG3.

Sachsen-Meiningen-Eisenach hatte durch das Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit am 15.08.1899 (MGFG) eine neue Grundlage für das Notariat geschaffen, das ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt auf der Reichsnotarordnung von 1512 fußte. Die Beurkundungstätigkeit wurde den Amtsgerichten und Notaren übertragen. Zum Notar konnte nur ernannt werden, wer die Befähigung zum Richteramt besaß. Die Ernennung erfolgte durch den Herzog. Der Notar unterstand unmittelbar dem Beamtengesetz und galt daher als Staatsbeamter.

Auch in Sachsen-Altenburg beruhte das Notariatswesen auf der Reichsnotarordnung von 1512. Mit Notariatsordnung vom 01.03.1889 wurde diese Grundlage beseitigt und ersetzt, wobei die Amtsgerichte und die Notare gleichberechtigt nebeneinander zur Vornahme von Beurkundungen für zuständig erklärt wurden.

Am 23.10.1899 wurde für Sachsen-Coburg und Gotha eine Notariatsordnung erlassen, die die bis dahin geltende gemeinrechtliche Grundlage des Notariats ersetzte. Entsprechend damaliger Tradition wurden auch hier Beurkundungszuständigkeiten den Amtsgerichten und Notaren zugewiesen. Auch hier war Voraussetzung für die Ernennung zum Notar die Befähigung zum Richteramt.

Schwarzburg-Sondershausen führte mit der Notariatsordnung vom 09.02.1872 das Notariat im Fürstentum ein. Diese wurde am 29.07.1899 neu gefasst und begründete die Zuständigkeit der Amtsgerichte und Notare für die Aufnahme von Urkunden der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Zu Notaren wurden nur Rechtsanwälte ernannt. Auch Schwarzenburg- Rudolstadt verzichtete – ähnlich wie Sachsen-Weimar - seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf die Bestellung von Notaren. Diese waren bis dahin hauptsächlich als Protokollführer zu den Verhandlungen bei den Gerichten hinzugezogen worden. Der Erlass einer neuen Notariatsordnung wurde zwar durch Gesetz vorgesehen, aber nicht vorgenommen. Das Fürstliche Ministerium hatte zwar noch am 04.10.1897 diese in Aussicht genommen, dann aber der Anlegung der Grundbücher Vorrang gegeben. Urkundsamt war das Amtsgericht4.

Das Fürstentum Reuß (ältere Linie) mit der Hauptstadt Greiz hatte die Reichsnotarordnung von 1512 lediglich fortentwickelt; eine neuere Notariatsordnung gab es nicht. Zu öffentlichen Beurkundungen waren Gerichte und Notare berufen, jedoch waren Notare von der Beurkundung von Testamenten und Erbverträgen ausgeschlossen. Im Fürstentum Reuß (jüngere Linie) schließlich hatte sich das Notariat auf der Grundlage der Notariatsordnung von 1512 erhalten, die durch die Notariatsordnung vom 10.08.1899 ersetzt wurde. Für die öffentliche Beurkundung im Dienst Privater waren die Amtsgerichte und Notare gleichmäßig zuständig, die Amtsgerichte jedoch von der öffentlichen Beglaubigung ausgeschlossen.

Eine Zäsur in der deutschen Geschichte brachte auch eine Zäsur im Recht des Notariats mit sich. Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete auch das Ende der Monarchien. Nach Abdankung der Fürsten zwischen dem 09. und 25. 11. 1918 entstand über verschiedene Zwischenstationen zum 01. 05. 1920 der Freistaat Thüringen. Durch das Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit5 wurde das Notariat für ganz Thüringen eingeführt und einheitlich geregelt. Im Jahre 1927 gab es in Thüringen insgesamt 172 Notare, schon 1931 stieg die Anzahl der Notare auf 202 an. Die Einwohnerzahl betrug damals 1,625 Millionen6. Am 30. 01. 1934 erlosch im Zuge der Gleichschaltung der Länder der Freistaat Thüringen, ein dunkles Kapitel auch für das Thüringer Notariat zwischen den Jahren 1933 bis 1945 nahm seinen Anfang. Es folgte die Reichsnotarordnung vom 13. 02. 19377. Sie überführte das letzte bis dahin noch auf landesgesetzlicher Regelung beruhende Gebiet justizieller Einrichtungen auf das Reich. Entscheidender Regelungsgehalt war die reichsweite Einführung des Nurnotariats.

Das Jahr 1945 beendete diese Entwicklung, wobei die Reichsnotarordnung zunächst als Thüringer Landesrecht fortgalt. Am 01.05.1945 amtierten 242 Notare in Thüringen. Regelungen der Justizverwaltung gab es nur hinsichtlich der politischen Überprüfung, der Befehl Nr. 49 der SMAD vom 04.09.1945 enthielt keine Bestimmungen über Rechtsanwälte oder Notare. In Thüringen ergingen am 01.10.1945 die "Gesetze über die Reinigung des Rechtsanwaltsberufes und über die Reinigung des Notaramtes von Nazi-Elementen". Darin war bestimmt, dass jeder Notar der Neubestallung bedurfte. In einem Bericht über die Geschäftsentwicklung des Ministeriums der Justiz wird festgestellt, dass nach dem "Zusammenbruch" 178 Notare neu zugelassen wurden8. In dieser Zeit war die Notarkammer Thüringen in Gera ansässig, die ab 1951 als Abwicklungsstelle geführt wurde. Bei der großen Umstrukturierung der "Sowjetzone" im Jahre 1952, d.h. der Aufhebung der Länder und Neugliederung der Bezirke, wurden die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus der Zuständigkeit der Gerichte herausgenommen und durch entsprechende Verordnungen einer neu geschaffenen Institution, dem Staatlichen Notariat, übertragen9. Daneben bestand das seit 1956 geltende Gesetz über das Verfahren des Staatlichen Notariats10. Inhalt der Regelungen war, dass freiberufliche Notare weiter amtieren konnten, allerdings Neuzulassungen nicht mehr erfolgten. Die Freiberuflichkeit wurde somit ausgetrocknet, der Tätigkeitsbereich der freiberuflichen Notare wurde beschnitten. Die Aufgaben des Notariats stellte der am 04.04.1963 ergangene Erlass des Staatsrates der DDR über die grundsätzlichen Aufgaben und die Arbeitsweisen der Organe der Rechtspflege, der sog. Rechtspflegeerlass, klar11. Das Staatliche Notariat wurde zum Organ der sozialistischen Rechtspflege, das durch seine Tätigkeit im Bereich des zivilen Rechtsverkehrs zur Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit und zur Entwicklung des sozialistischen Staats- und Rechtsbewusstseins der Bürger beizutragen habe. Damit wurde das Notariat wie alle Rechtspflegeorgane dem Machtanspruch des SED-Staates unterstellt.

Gleichwohl waren auch im DDR-Staat Justizaufgaben durch Notare zu erledigen, die dem normalen Rechtsfrieden und nicht allein den politischen Zielsetzungen des Staates dienten. Am 15.02.1976 trat in der DDR das neue Gesetz über das Staatliche Notariat in Kraft12. Mit diesem Gesetz wurden die bisherigen Regelungen das Notariat betreffend aufgehoben. Das Gesetz bekräftigte den politischen Ansatzpunkt des Rechts der DDR. Gemäß § 1 Abs. 1 Notariatsgesetz waren die Staatlichen Notariate Organe des sozialistischen Staates, die auf der Grundlage der Verfassung, der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften in der DDR Aufgaben der sozialistischen Rechtspflege wahrnahmen. Das Notariat in der DDR hat keine herausragende Rolle gespielt. Die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit besaßen in einer sozialistischen Gesellschaft natürlicherweise nicht die Bedeutung wie in einer freiheitlich-demokratischen. Diesen Unterschied konnte man unmittelbar in der Zeit der Wende erfahren. Plötzlich interessierten sich die Bürger wieder für ihre privaten Angelegenheiten. Erb- und Grundstücksvorgänge der letzten 40 Jahre wurden innerhalb kürzester Zeit massenweise den Notaren zur Bearbeitung vorgelegt. Die dadurch entstandene Arbeitsüberlastung der Notariate ist vielen Kollegen noch in guter Erinnerung.

Das Jahr 1989 brachte die Wende – auch für das Notariat. Durch die Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung in der DDR vom 25.01.1990 – der sogenannten Joint-Venture-Verordnung13 nebst Durchführungsbestimmung – wurde der gesamte Bereich der Beurkundungen auf dem Gebiet des Handels- und Gesellschaftsrechts, das in der DDR bis dahin keine Rolle mehr gespielt hatte, über Nacht zu aktuellem Recht. Diese für viele Notare neue Materie setzte die berufspolitische Entwicklung des Notariats in Thüringen in Gang. Die Notare in Thüringen, die früher als Staatliche Notare tätig gewesen waren, stellten sich ihrer Vergangenheit, wehrten sich aber gegen teilweise vorgetragene Pauschalurteile. Die Notarkammer Thüringen hat z. B. schon vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen und Notarbestellungen und Berufung ehrenamtlicher Richter vom 24.07.199214 ihre Mitglieder über frühere politische Tätigkeiten befragt und im Rahmen der Ernennungen manchen Bewerber von der Übernahme des Amtes als Notar abgehalten.

Aus einem mehr zufälligen Kontakt eines Weimarer Notars mit einem Kollegen aus Trier wurde innerhalb von zwei Wochen durch die Notarkammer Koblenz für März 1990 eine erste Fortbildungsveranstaltung organisiert. Die Kollegen aus Rheinland-Pfalz leisteten beim Aufbau der Thüringer Notariate vielfältige und wertvolle Hilfe; zwischen den Notaren bestehen nach wie vor hervorragende und freundschaftliche Kontakte. Ein besonderer Verdienst kommt dabei dem damaligen Geschäftsführer der Notarkammer Koblenz, Hans-Jörg Assenmacher, zu, der 1995 zum Ehrenmitglied der Notarkammer Thüringen gewählt wurde. Neben der fachlichen Arbeit stellte sich aber schon bald die Frage der Zukunft des Notariats in den ehemaligen Gebieten der DDR. Von Anfang an wurde seitens der Notare eine Fortführung der Staatlicher Notariate abgelehnt. Die Frage spitzte sich somit auf die Entscheidung zwischen Anwalts- und Nurnotariat zu und wurde letztlich durch die damaligen Gegebenheiten der DDR entschieden. Die Staatlichen Notare verstanden sich als Nurnotare, wenn auch staatlich eingebunden.

Mit Verordnung vom 20.06.199015 schuf die Regierung de Maiziere das freie Nurnotariat in der DDR. Am 01.10.1989 waren im heutigen Gebiet Thüringens nach unseren eigenen Erhebungen insgesamt 88 Notare in Staatlichen Notariaten tätig. Mit der Notarverordnung beendete das Staatliche Notariat 1990 seine Existenz. Es begann der Aufbau des hauptberuflichen Notariats. So wurde in der Regel auf engstem Raum die Amtstätigkeit aufgenommen. Ausgebildete Hilfskräfte waren nicht vorhanden. Der Notar musste alle anfallenden Arbeiten selbst vornehmen. Dies erklärt zum Teil die Probleme der Anfangszeit. Am 02. 10. 1990 waren insgesamt 73 Notare in Thüringen tätig. Von den 88 genannten Notaren der Staatlichen Notariate haben 59 die Tätigkeit in eigener Praxis aufgenommen. Seit dem 03.10.1990 wurden 37 weitere Notare bestellt. Am 29. 09. 1990 fand die Gründungsversammlung der Notarkammer Thüringen statt. Präsident wurde JR Hans-Georg Schmidt, Erfurt, der heute Ehrenpräsident der Notarkammer Thüringen ist. Am 20.11.1990 nahm die Geschäftsstelle der Notarkammer Thüringen ihre Arbeit auf. Seit dieser Zeit ist die Notarkammer Thüringen Partner der Notare und der Justizverwaltung in Thüringen im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtungen.

Heute, mehr als 15 Jahre später, sind im Freistaat Thüringen 92 Notarinnen und Notare tätig. Der Anteil der Kolleginnen liegt bei 38 Prozent. Zur Sicherung eines qualifizierten Notarnachwuchses werden seit dem Jahr 1993 Notaranwärter in den Notariaten Thüringens ausgebildet. Nach dem Inkrafttreten der BNotO und der damit verbundenen Ermächtigungs- und Ausführungsverordnungen im Land Thüringen wurden mit Wirkung vom 01.10.1999 die bislang bei der Notarkammer Thüringen beschäftigten acht Notaranwärter in den Notarassessorendienst berufen. Zur Zeit sind fünf Notarassessoren im Freistaat Thüringen beschäftigt. Der hohe Anteil relativ junger Notare und die hohe Notardichte in Thüringen, die voraussichtlich die Einziehung einiger Stellen erforderlich machen wird, bringen es mit sich, dass die Zahl der Notarassessoren auch in Zukunft vergleichsweise klein bleiben wird.

Der Vorstand der Notarkammer Thüringen setzt sich aus fünf ehrenamtlich tätigen Kollegen zusammen. Dem Vorstand stehen zwei beratende Ausschüsse, der Ausschuss für Personal- und Standesangelegenheiten und der Rechtsausschuss bei der Erfüllung seiner Aufgaben zur Seite. Der Bereich der Notarkammer Thüringen deckt sich mit dem Bezirk des Oberlandesgerichts Jena. Dieser gliedert sich in die Landgerichtsbezirke Erfurt, Gera, Meiningen und Mühlhausen. Die Zusammenarbeit mit der Justizverwaltung, dem Thüringer Oberlandesgericht und den Landgerichten ist geprägt von offenem und wechselseitigem Verständnis. Das hauptberufliche Notariat hat heute auch in Thüringen seinen festen Platz; es genießt allseitige Anerkennung.

Fußnoten

1 Herr JR Hans-Georg Schmidt überließ dankenswerterweise seinen Aufsatz "Das Notariat in Thüringen im Wandel der Zeiten" zur Festschrift zur Wiedererrichtung des Oberlandesgerichts Jena für die Erstellung dieses Beitrages.

2 DNotV 1903, S. 24

3 Kockerols/Stapff/Fürbringer, 1907, Das Urkundswesen der deutschen Staaten, Fn. 21, S. 573 f.

4 Kockerols/Haertel (Fn. 3), S. 588 f., Fn. 21

5 ThürGS 1923 Nr. 49, S. 599

6 Stenographischer Bericht über den 12. Deutschen Notartag 1927, S. 586; Roesner, DNotV 1931, S. 148, 15

7 RGBl. I, S. 191 ff.

8 Rechenschaftsbericht des Hauptabteilungsleiters, Dr. Schultes, aus Anlass der Eröffnung des Justizgebäudes in Erfurt am 06.02.1950

9 Schulz, DNotZ 1965, S. 275 f.; VO über die Errichtung und Tätigkeit des Staatlichen Notariats vom 15. 10. 1952, GBl. S. 1050; VO über die Übertragung der Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 15. 10. 1952, GBl. S. 1057

10 Gesetz vom 16. 11. 1956, GBl. I, S. 1288 f., und die Anordnung über die Arbeitsordnung des Staatlichen Notariats (Anordnung vom 16. 11. 1956, GBl. I, S. 1320 f.)

11 GBl. I, S. 23 f.

12 GBl. I, S. 93

13 GBl. I, S. 16

14 BGBl. I, S. 1386

15 VO über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis, GBl. I, S. 475